Gefangen

Es ist Mittag. Ich liege da und gucke fern. Ich liege mittags nie da und gucke fern. Nur heute. Mir fehlt die Kraft zu denken, geschweige denn etwas zu tun.

Es ist schwül draußen. Die Julihitze fährt wie eine Straßenwalze über meinen Willen.

Ich sollte den Artikel fertig schreiben, an dem ich gerade arbeite, schaff es aber nicht, mich dafür zu motivieren. Also bleib ich liegen und glotz in die Röhre. Die Nachmittagssendungen der Privaten kann ich mir trotzdem nicht antun. Soviel Ehre hab ich noch. Ich schalte um auf Netflix. Dort wird mir ein Streifen vorgeschlagen, der nach Rosamunde Pilcher riecht. Heute die Nummer vier in Italien. Ich schaffe ich es noch, mich zu fragen, warum mir so was vorgeschlagen wird, dann drücke ich, ohne mir Gedanken über die Antwort zu machen, auf OK. Ich weiß in den ersten vier Minuten wie der Film ausgehen wird. Genau das Richtige.

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Als die beiden Hauptdarsteller zum ersten Mal aufeinandertreffen bekomme ich Durst. Ich bin aber zu träge, um aufzustehen und mir was zu trinken zu holen. Also bleib ich liegen und durstig.

Er und sie nähern sich an, da klingelt mein Handy, das ich blöderweise in meiner Tasche habe. Die Tasche liegt in der Garderobe. Ich lass es klingeln, bis es aufhört. Vielleicht war’s Martin? Der ist daran gewöhnt, dass ich manchmal nicht antworte und wird es wieder versuchen. Ich bin ihm so unendlich dankbar für seine Geduld und wünsche mir, er wäre hier, damit ich ihm das auch mal sagen kann. Wir könnten diesen Film vielleicht gemeinsam schauen und ein bisschen rummachen.

Im Film küssen sich die beiden endlich, aber am nächsten Tag heiratet sie seinen Anwalt, also besäuft er sich und haut dann ab.

Ich sollte etwas anderes tun. Nicht einfach so rumliegen. Schade, dass ich mein Handy nicht habe, sonst könnte ich Martin zurückrufen und fragen, ob er heute früher nach Hause kommt.

Im Film versinkt er grad in Liebeskummer. Er trifft sich mit seiner Ex wegen irgendetwas. Sie merkt natürlich was mit ihm los ist, nickt ihm zu, als würde sie ihm die Erlaubnis erteilen, endlich das zu tun, was sein Herz ihm rät, und er packt seine sieben Sachen und fährt zu seiner neuen Liebe. Die hat sich inzwischen von ihrem Mann, dem Anwalt, getrennt. Mein Magen fühlt sich mulmig an.

Er steht am Grill im wunderschönen Schlossgarten, wo er ein kleines Restaurant eröffnet hat und bereitet gerade ein köstliches Essen vor. Da kommt sie mit ihrer Vespa angefahren, parkt unter einem uralten, schattigen Baum und geht auf ihn zu. Die ganze Zeit sieht sie ihm in die Augen und lächelt. Er wartet bis sie vor ihm steht, dann fragt er sie, wie es ihr geht. Gerade so als wollte er wissen, ob sie ihn liebt. Während mir die Tränen den Hals hochkriechen und in die Augen drängen werd ich ungeduldig. Sie erzählt, dass sie angefangen hat zu studieren. Er findet das großartig. Zusammen gehen sie ins Haus und in ihr Glück. Sie kriegen sich, und ich heule wie ein Schlosshund. Endlich.

Dann steh ich erleichtert auf und mache mich an die Arbeit.

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